They done got us. They had themselves a game and we had no game.
The old leaders in the ’60 wouldn’t have let this happen.
We woulda had us a game too, but we didn’t. They done got us good.
Elmar Brant, Civil Rights Veteran in Florida
(How the GOP Games the System in Florida, The Nation, 30.4.01)
Wenn man die Antwort nicht weiss, stellt man dann besser schon gar nicht die Frage? Dass bei den Wahlen vom November 2000 in den USA “gefälscht” wurde, hat sich herumgesprochen. Eine naheliegende Erklärung wäre, die demokratische Partei zur “besseren” zu erheben: Die Faschos “putschen” gegen die Liberalen, verteidigt den Sozialrechtsstaat. Die Gegenthese: RepublikanerInnen und DemokratInnen vertreten im wesentlichen die gleichen Interessen. Also reichten ein wenig linke Häme wegen Florida, der beruhigende Hinweis, dass eh nicht interessiere, welche Charaktermaske gerade im Weissen Haus rumgeistere?
von Dieter Drüssel
Acht Millionen Menschen sind unter Clinton aus der Sozialhilfe geflogen, die Welfare-Kosten sind um satte 60% gesunken (Washington Post, Post oder wp, 18.12.00). Die New York Times (Times oder nyt) bedachte in ihrem Clintonrückblick vom 26. Dezember, dass nun, am Ende der langen Prosperitätswelle, die Zahl von US-BürgerInnen ohne Krankenversicherung auf 43 Millionen gestiegen ist, darunter viele Kinder. Der als Uebergang von Welfare zu Workfare propagierte Sozialangriff stellt sich für Clintons ersten Arbeitsminister, Robert Reich, als “Flut von allein erziehenden Müttern in den Arbeitsmarkt” dar. Als Reformergänzung nennt die Times die 1993 erfolgte Revidierung der Arbeitsgesetze. Im Kern bedeutet sie via Lohnsubventionierung für Niedriglohneltern einen Transfer öffentlicher Gelder an die von den Tiefstlöhnen extra profitierenden Unternehmen in der Höhe von jetzt fast $ 30 Milliarden im Jahr. Die trotzkistische World Socialist Web Site (www.wsws.org) gibt eine Studie vom 10. September 2000 wieder, wonach 30% der Kinder Alleinerziehender von Hunger bedroht sind. Das reichste Prozent der US-Haushälte besitzt soviel wie die “unteren” 95% des gelobten Landes – 40% des nationalen Reinvermögens, Relationen wie seit 1929 nimmer (www.inequality.org/factsfr.html). Während der Mittelstand seinen Lifestyle über börsengetriebene Privatverschuldung hat halten konnte, wurde die Gefängnisbevölkerung von 1980 bis 2000 auf über 2 Millionen vervierfacht, zunehmend in renditeorientierten Privatknästen. Die Zahl der vorwiegend farbigen Gefangenen in den USA übersteigt damit die Zahl der selbstständigen Bauernfamilien. Clinton und Gore stehen auch für WTO, Kosovokrieg oder Plan Kolumbien. Dennoch hat man in den USA Elemente von CIA-Wahlen à la Lateinamerika erlaubt, um Al Gore weg zu haben.
I
Reines Mogeln, wie häufig behauptet? So auch von Noam Chomsky in seinem “Elections 2000” (www.lbbs.org/weluser.htm), der richtig darlegt, dass die beiden grossen Parteien zwei Pferde im gleichen Stall sind. Wenn 100 Millionen eine Münze werfen, so Chomsky, kommt statistisch das Novemberresultat heraus: 50 zu 50. Zwar gebe es für einzelne WählerInnenblöcke “erkennbare” Motive für die Präferenz für Bush oder Gore, doch insgesamt unterscheiden sich die beiden Parteien für die Leute in keiner Weise, so dass Zufälliges entscheidend werde: “Wird Bush sich in der TV-Debatte erinnern, wo Kanada liegt und Gore an einen unangenehmen Besserwisser aus der 4. Klasse gemahnen”? Natürlich entgeht dem Altmeister die rassistische und klassenmässige Diskriminierung beim Wahlprozess nicht. Das zeige, wie menschenverachtend das System ist, uninteressanterweise auch bei Wahlen.
Chomsky hat natürlich Recht, bleibt aber bei der allgemeinen Kritik stehen. Wenn Hans was Heiri, warum dann der immerhin risikoreiche Wahlbetrug? Viele Schwarze und MigrantInnen erleben die Vorkommnisse als Rückkehr zu Zeiten vor den Siegen der Civil-Rights-Bewegung in den 60-er Jahren. Aus Texten und Zitaten ist eine Wut und Bestürzung hörbar, welche im Analysieren von rassistischen Mechanismen nicht aufgehoben ist, solange dieses nicht die Dramatik des singulären Augenblicks erkennt. Denn was soll das Reden von der Weite der Meere, wenn ich in den Flussfluten ertrinke? Die undogmatische Z-Net-Szene um Chomsky vermittelt die enorme Fremdheit weisser mittelständischer Linker angesichts der Situation schwarzer und migrierender Leute.
Reformierter Sozialrassismus
1994, bei seinem ersten, erfolglosen, Anlauf auf den Gouverneursposten in Florida, antworte Jeb Bush, Bruder des jetzigen Präsidenten, auf die Frage, was er im Falle eines Sieges für die schwarzen Communities im Staate tun würde: “Vermutlich nichts”. Er sei, so der heute salonfähig gewordenen Slang des Rassisten, für Chancengleichheit für alle, ohne etwa auf Rasse zu achten. Nach seiner Wahl 1998 schaffte er folgerichtig fast alle “affirmative actions” ab, die dem Anspruch nach gegen die Diskrimierung von Schwarzen oder Frauen gerichteten Jobprogramme u.ä. Die der Demokratischen Partei (DP) nahestehende alte Bürgerrechtsorganisation NAACP begann im September 1999 eine Kampagne zur Einschreibung schwarzer WählerInnen gegen die Bushs. Mit Erfolg: Letzten November war der schwarze WählerInnenanteil in Florida im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen 1996 um 300'000 von 10% auf 16% gestiegen. Doch die Gegenseite blieb nicht passiv.
1998 hatte der Miami Herald einen Betrug bei der Wahl des Miami-Bürgermeisters aufgedeckt. Es ging dabei um viele “Geisterstimmen”, ermöglicht durch ein eigentümliches Postwahlverfahren, zugunsten des republikanischen CIA-Kandidaten für den Posten. Nebenbei kam raus, dass 105 Ex-Gefangene ihre Stimme unrechtmässig abgegeben hatten. Als Antwort betrieb die Rep-kontrollierte Legislative die strikte Durchsetzung eines Gesetzes von 1868 zur Fernhaltung von Ex-Gefangenen von der Wahlurne. Die Schwarzen stellen 15% der Bevölkerung von Florida, aber 54% der Gefangenen im Staat. 17% der afro-amerikanischen Männer dürfen hier nicht wählen. Fast 180'000 Ex-Gefangene sind so nach offiziellen Zahlen ohne Stimmrecht. Laut dem US-Justizsystem werden nirgends so viele Jugendliche wegen “Verbrechen” verurteilt wie in Florida. In den USA haben insgesamt 4.2 Millionen Ex-Gefangene kein Stimmrecht, die meisten von ihnen aus sog. Minderheitsgruppen. In 13 Staaten gilt das Verbot lebenslänglich. Das Brennan Center for Justice von der New York University dazu: “Als Alabama so ein Gesetz 1901 einführte, erklärte John Knox, der die Verfassungsgebende Versammlung präsidierte, das Ziel solcher Massnahmen mit der Erhaltung der weissen Vorherrschaft, ohne dabei die Verfassung der Vereinten Staaten direkt herauszufordern” (Village Voice, 5.2.01). Nach dem Bürgerkrieg 1861-1865 wurden Schwarze rechtlich den Weissen gleich gestellt. In der Folge wurde diese theoretische Gleichstellung mit sog. Jim-Crow-Gesetzen zurückgedreht. Darunter fallen Stimmrechtsverweigerungen via Alphabetismustests, “Kriminellen”-Regelungen, Wahlsteuern etc.
Zero tolerance
1998 hatten Jeb Bush und Katherine Harris, millionenschwere Zitruserbin, oberste Chefin der Floridawahlbehörde und Ko-Präsidentin der Floridakampagne von George W. Bush, die Firma DBT/Choice Point aus dem Umkreis des Zero-tolerance-Gouverneurs von New York, Ralph Giuliani, mit der Säuberung des Wahlregisters beauftragt. DBT filterte in der Folge über 174000 Menschen aus dem Wahltregister. Als Betroffene protestierten, wunderte sich Margaret Thorogood von der DBT-Chefetage: “Es gibt einfach ein paar Leute, die tun so bei ihrem Stimmrecht, als ob du dich in ihr Leben einmischen tätest”. Schon ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen war klar, dass die DBT-Liste tausende teils grotesker Fehler aufwies, u.a. Deliktdaten aus der Zukunft. Die Vorgaben dazu kamen aus Harris‘ offizieller Wahlbehörde: DBT hatte schon bald rausgefunden, dass eine 90%-Uebereinstimmung von Namen, Geburtsdatum oder der oft nicht erhältlichen Sozialversicherungsnummer zwischen Verurteiltenliste und Wahlregister viele legal Wahlberechtigte vom Wählen ausschliessen würde. Es kam zu besorgten Rückfragen offizieller WahlsupervisorInnen, ausgelöst durch tausende von Protesten von Ausgeschlossenen. Die Antwort der Harris‘ Behörde bestand letztes Jahr, vor der Präsidentschaftskampagne, in der Weisung an DBT, die Uebereinstimmungsquote von 90 auf 80% zu senken!
Software für Jim Crow
Bush-Wahlkämpferin Katherine Harris liess nach Angaben des BBC-Reporters Greogry Palast zwischen 50000 und 80000 ehemalige, aus anderen Staaten zugezogene Gefangene aus dem Wahlregister entfernen. Im Mai 2000 wollte Frau Harris mit einer DBT-Liste 8000 “Ex-VerbrecherInnen” aus Texas vom Register entfernen. Ein kleiner Irrtum, in der Folge nur teilweise behoben: Von der Gruppe war niemand wegen mehr als einem Vergehen bestraft worden. Insgesamt hatte DBT über 3000 Ex-Gefangene aus Staaten ohne automatischen Wahlrechtsentzug nach der Strafverbüssung rausgesäubert – illegal nach Floridagesetz. Bindend ist die Regelung des jeweiligen Staates. Im Juni 1998 hatte das Appellationsgericht von Florida im Falle eines vor 25 Jahren in Connecticut Verurteilten einstimmig festgehalten, dass der Mann nicht dazu gezwungen werden könne, “Florida um die Wiederherstellung seiner Bürgerrechte anzufragen. Sie waren hier nie verloren”, da Connecticut nicht zu den Staaten mit Wahlausschluss nach Haftverbüssung gehöre. In einem Schreiben vom 18. September 2000, sechs Wochen vor dem Wahlgang, beharrte die Harris-Behörde auf ihrem Standpunkt: Ex-Gefangene aus anderen Staaten, wo sie ihrer BürgerInnenrechte nicht verlustig gegangen sind, “müssen sich für die Wiederherstellung ihrer Bürgerrechte im Staate Florida” bewerben, genau das, was die Gerichte kategorisch ausschliessen (Die Gewährungsquote unter Jeb Bush betrug bisher 5%). In Hillborough County waren 54% der so Ausgeschlossenen Schwarze. In Florida hatten im letzten November 90% der Schwarzen ihre Stimme für Al Gore abgegeben; weisse und Latino-Ex-Gefangene, fast alle arm, stimmten in ähnlichem Ausmass gegen die Reps. Eine Studie der Minnesota University schätzte kürzlich, dass 93% aller Ex-Gefangenen 1996 für Clinton gestimmt hatten. Nur schon die illegal ausgeschlossenen Ex-Knastis aus anderen Staaten machen das 7-fache des offiziellen Florida-Vorsprunges von George W. Bush auf Al Gore – 537 Stimmen - aus.
Palast schrieb: “Vor drei Jahrzehnten stand Gouverneur George Wallace in einem Schuleingang und donnerte: ‚Segregation jetzt! Segregation morgen! Segregation für immer!‘ Aber er konnte den Einzug von AfroamerikanerInnen nicht verhindern. Der Widerstand von Gouverneur Jeb Bush gegen Gerichtsentscheide, auf Flüsterebene und mit Hightechhilfe, war ... viel wirksamer. Ob gezielt oder zufällig, das fehler-befallene und illegale Begnadigungshindernis funktioniert wie die Wahlsteuer oder der Alfabetismustest der Jim-Crow-Ära: die Stimme jenen nehmen, die schwarz, arm und nicht zufällig fast alle DemokratInnen sind. Kein Rätselraten hier: Florida gehört zu den wenigen Staaten, die sowohl Partei- wie Rassenzugehörigkeit in den Registrierungsdokumenten festhalten”. Vor lauter Bäumen sieht man oft den Wald nicht. Es geht nicht einfach um die Stimmzahl “auswärtiger” Ex-Gefangener, die allein ausgereicht hätte, den offiziellen Vorsprung von Bush um ein Vielfaches zu neutralisieren. Solche Zahlen ergaben sich in Florida zuhauf. Es geht um das zielgerichtet, auch Gesetze brechende Absichern der Präsidentschaft von Bush per Angriff auf nicht-weisse und soziale Underdogs. Die Präsidentin der zum US-Justizministerium gehörenden, trotzdem etwas unabhängigen US Commission on Civil Rights, Mary Frances Berry, meinte am 8. März bei der Präsentierung eines Zwischenberichtes zu den Wahlen in Florida: “Die Wegnahme des Stimmrechtes scheint im Zentrum des Problems zu stehen. Es geht nicht um die Frage der Nachzählung oder selbst einer genauen Zählung, sondern exakter um das Thema, wessen Ausschluss vom Wahlrecht auf ein ‚Nicht-Zählen‘ hinauslief”. Die Kommission hatte neben vielen anderen auch das Zeugnis des DBT-Chefs George Bruder über die bewusst verfälschenden Vorgaben der Florida-Wahlbehörde bzgl. der Ex-Gefangenen gehört. Den explosiven Zwischenbericht der offiziellen Kommission hatte CBS-Radio in den 11h-Nachrichten erwähnt, seither kein einiges grosses Medium (zum DBT-Komplex: The Nation, 5.2.01/30.4.01).
Chaos und Computer
Das Totschweigen hat seinen Grund. Die Kommission legte nämlich auch den Finger auf weitere Vorgänge zum Ausschluss unerwünschter WählerInnen. Absehbar sei gewesen, so die Kommission, dass die Wahlbeteiligung dieses Mal um einiges wachsen würde. Dennoch habe die Behörde keine Vorkehrungen zur Bewältigung der Probleme getroffen. Die Kommission spricht damit die Chaosstrategie an, wie wir sie gut aus Zentralamerika kennen. Auch am 8. März hatte NAACP eine Reihe von Gerichtsprozessen angestrengt etwa wegen “Dislozierung von Wahllokalen mit ungenügender oder ohne Vorankündigung” oder weil “WählerInnen ihres Stimmrechtes durch die” für Lohnabhängige wichtige “vorzeitige Schliessung von Wahllokalen” (gewählt wird werktags) beraubt wurden.
Ein breit dokumentiertes Phänomen betraf WählerInnen, die auf den offiziellen Registerauszügen des jeweiligen Wahllokales plötzlich nicht mehr auftauchten. Ein Teil der Wahlangestellten nahm die Proteste der Betroffenen ernst und versuchte ergebnislos, sich mit der chronisch besetzten Wahlzentrale telefonisch verbinden zu lassen. Am 30. November dokumentierte die nyt den Fall der schwarzen Neuwählerin Dedrana McCray in Miami, die, wie die Wahlbehörden nachträglich zugeben mussten, zwar korrekt registriert, aber nicht auf dem faktisch massgeblichen Registerauszug verzeichnet war. Eine Telefonverbindung ins Zentralregister herzustellen, war während Stunden unmöglich. Die enttäuschte McCray sagte praktisch wörtlich das Gleiche, was ich in El Salvador so oft gehört habe: “Ich werde nie wieder wählen gehen. Es ist ein Stress. Wenn du all deine Sachen und die ID hast und du bist registriert und alles ok - aber wozu das alles organisieren, wenn du doch nicht wählen kannst?”
Die Laptop-Falle
Der Chef der Miami-Dade-Wahlbehörde gab das Problem der endlos verstopften Leitungen zu, verwies aber auf die problemlindernde Vergabe von mit dem Zentralregister online verbundenen Laptops an 18 Wahlbezirke. Die Times hatte dazu ermittelt, dass 14 dieser Bezirke “hispanic” waren – angesichts der allgemein gegen Latin@s angewandten Wahldiskriminierung wohl ein Euphemismus für US-kubanisch - drei dominant weisse und und einer vorwiegend schwarz. Während Gore in Miami-Dade einen Vorsprung von 53:46% zugesprochen erhalten hatte, schwang in den 18 Laptopbezirken Bush mit 56:42% obenauf. In Hillsborough County mit der Stadt Tampa wurden 10 Distrikte mit Laptops ausgerüstet, nicht einer davon in einer schwarzen Wohngegend. Bush soll im ganzen County mit 51:47% gesiegt haben, in den 10 Laptop-Bezirken mit 55:45%.
Es gibt keine Zahlen, wie viele primär rassistisch anvisierte Leute über diese Zusammenhänge (falsche Wahllisten, besetzte Leitungen, gezielte Verteilung von Notebooks u.ä.) gestolpert sind. Die Nation (30.4.01) schreibt dazu: “Einige Wahlangestellten sagten, Dutzenden von Leuten sei in ihren Lokalen das Wählen verboten worden, andere erinnerten sich nur an ein paar Wenige. Aber mit über 6000 Wahllokalen im Staat sind diese Zahlen signifikant”.
Schmetterlinge der Verwirrung
Zum Thema Chaos gehört die Konfusion. Am bekanntesten ist diesbezüglich der sog. Schmetterling-Wahlzettel von Palm Beach City geworden. So genannt, weil die für die Präsidentschaftskandidaten zu stanzenden Löcher in einem verwirrenden, an einen Schmetterling erinnernden Design aufgereiht waren. Ausgerechnet hier, wo viele jüdische und schwarze Menschen leben, hatte der Neonazi Pat Buchanan, Kommunikationschef des früheren Präsidenten Reagan, von Gore tausende von Stimmen “geerbt”. Insgesamt verlor Gore nach konservativen Nachzählungen durch den Miami Herald (4.4.01) rund 6600 Stimmen, das Zwölfache von Bush’s offiziellem Vorsprung. In Duval County hatte sich die Rep-dominierte Wahlbehörde eine andere Finesse ausgedacht: Erst am Wahltag veröffentlichte sie einen neuen Wahlzettel, die Namen der PräsidentschaftskandidatInnen fanden sich jetzt auf zwei Seiten. Eine sichere Falle für funktionale AnalfabetInnen (über 40% der Bevölkerung). Prombt stanzten viele ihr Loch auf jede Seite, wie auf der kurz vor dem Wahlgang veröffentlichten offiziellen Wahlanleitung aufgeführt: 22'000 der insgesamt 27'000 ungültigen Stimmen (9% aller Voten), die meisten in demokratischen Wahlbezirken der Stadt Jacksonville, wo 80% der schwarzen und 42% der weissen Schulkinder auf staatliche Essenshilfe angewiesen sind. Allein 9000 dieser Doppelstimmen kamen aus den schwarzen Wohnquartieren der Stadt, wo 90% für Gore stimmten. Die Wahlbehörde verheimlichte die grosse, gegenüber den 96-er Wahlen um das Dreifache gestiegene Zahl ungültiger Stimmen während drei Tagen bis zur Verstreichung der Frist für die Forderung einer Nachzählung von Hand (Village Voice, 29.11./6.12.00; wsws, 13.12.00; wp 3.12.00).
Resultate privatisieren
Im Zusammenhang mit den Protesten von StudentInnen der schwarzen Florida A&M University, die z.B. über Nichtzustellung von Registrierungskarten an der Stimmabgabe gehindert worden waren, sagte der studentische Aktivist Elan Thompson aus: “Ich komme von Kansas City, Missouri, wo 900 Stimmen in der Metrozone wegen Unregelmässigekeiten für ungültig erklärt worden sind. In Jacksonville, Florida, einer Stadt mit vergleichbarer Bevölkerung, waren es 22'000. Hier geht’s um das Recht der Leute zu wählen” (wsws, 6.12.01). An einem NAACP-Hearing vom 7. Dezember zur Lage in Jacksonville sagte Julie Ann Cunning folgendes aus: “Als in der Wahlnacht der Staat um 2h30 früh Bush zugesprochen worden war, begannen mein Mann, ein Computeranalytiker, und ich, die Resultate von der Website des Wahlsupervisors herunter zu laden. Wir gaben die Resultate der Bezirke 7,8,9 und 10 von Duval County”, wo 42% der ungültigen Stimmen abgegeben worden waren, “in ein Tabellenblatt ein und ein seltsames Muster kam zum Vorschein. Wann immer der Abstand zwischen Gore und Bush sich verringerte, wurden mehr Stimmen für Gore ausgeschieden. In Bezirken, in denen Gore in Führung lag, stieg dieser Prozentsatz ebenfalls. Handelte es sich um einen klaren Bushbezirk, wurden nur 3-4% zurückgewiesen. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass jemand ein Softwareprogramm benutzt hat, um diese Resultate zu erhalten” (wsws, 13.12.01). Interessant in diesem Zusammenhang, dass anlässlich der Wahl 1988 des ultrareaktionären Senators Connie Mack sein extrem knapp unterlegener Gegner in drei Counties, die auch heute wieder im Zentrum der Auseinandersetzung stehen, eine Ueberprüfung der Softwarecodes der Wahlbehörde angestrebt hatte. Ergebnislos, denn die Software, so die Counties, sei Privateigentum (New Republic, 22.11.00).
Solche Vorkommnisse erläutern die rassistische Statistik. Während seit Jahrzehnten national ungefähr 2% der Wahlkarten keine Stimme für einen Präsidentschaftskandidaten enthalten, waren es in Florida dieses Mal 2.9% (fast plus 50%). “In 21 von Florida’s 67 Counties betrugen die ungültigen Stimmen mehr als 6%. Am meisten sowohl disqualifizierte wie Doppelstimmen aufweisende Wahlzettel gab es in mehrheitlich demokratischen und schwarzen Gebieten ... Gadsen County, eine vorwiegend arme, schwarze und ländliche Gegend, wies eine 12%-Fehlerquote auf” (wp, 3.12.00).
Maschinen lügen
Bekannt geworden ist das Problem der Stanzteilchen, der sog, Chads, die in manchen Wahlkarten eben nur teilweise entfernt worden sind. Es handelt sich dabei um die 62'000 sog. undervotes, also Zettel, die beim Zähldurchlauf durch die Maschine als keine Stimmabgabe für die Präsidentschaft enthaltend registriert wurden. Lochmaschinen, im Gegensatz zu optischen Lesegeräten oder Touch-Screens, wurden in den vier Counties mit der zahlreichsten schwarzen Bevölkerung verwendet. Hier, in Miami-Dade, Broward, Palm Beach und Duval, kamen über 100'000 der Florida-weit 180'000 für ungültig erklärten Stimmen zustande (The Nation, 30.4.01). Der Miami Herald berichtete, dass die Fehlerquote in 43 Counties mit optischen Scannern in jedem Wahllokal 1.4% betragen hatte. Die WählerInnen scannen ihren Stimmzettel nach dem Ausfüllen ein und erhalten bei gemeldeten Fehlern ein neues Formular. In den 24 Lochcounties erfolgt das Scannen erst nach Wahlende; Fehlerquote: 3.9%. In den von Bush gewonnen Bezirken wurde 1 von 40 Stimmen für ungültig erklärt, in den demokratischen 1 von 27. Von den 51 Bezirken mit mehr als 20% ungültiger Stimmen waren 88% mit Stanzmaschinen ausgerüstet (MH, 2.12.00). Die Post berichtete am 27. Januar zu allem Ueberdruss, dass in Palm Beach beim Einführen der Stimmzettel in die Stanzmaschine die auszustanzenden Löcher oft gar nicht unter die Maschinenstifte zu liegen kamen. Am 6. April vermeldete USA Today beiläufig, dass Stimmen in schwarzen Mehrheitsquartieren zu 8.9%, solche in weissen Zonen zu 2.4% ungültig waren.
Der frühere Präsident der Lochmaschinenherstellerin gab während der Floridaauseinandersetzung zu, schlaflose Nächte wegen möglicher Manipulation an seinen Maschinen zu verbringen. “Du müsstest dich auf ein paar wenige Staaten, Counties und Bezirke konzentrieren, die du brauchst. Es geht nicht um Millionen von Stimmen. Du brauchst zehn Stimmen in diesem Bezirk, 50 da, 100 dort” (New Republic, 22.11.00). Interessant eine Begebenheit in einem der vielen Gerichtsverfahren in Florida um die Frage der Nachzählung von Hand. Starzeuge der Bushanwälte für die eine manuelle Auszählung angeblich erübrigende Verlässlichkeit der Lochsysteme war einer ihrer Erfinder. Die GoreanwältInnen konfrontierten den Lügner mit seinem eigenen, vor 20 Jahren eingereichten Patentantrag auf ein anderes System, in dem er freimütig die Anfälligkeit für “ernsthafte Irrtümer” des Stanzsystems darlegte (nyt, 4.12.00). Keine wirkliche Neuigkeit, allerdings. Eine Untersuchung des National Bureau of Standards der USA von 1988 verlangte aufgrund ihrer notorischer Ungenauigkeit die Abschaffung der Stanzsysteme und bezog sich dabei übrigens auch auf Probleme in Palm Beach 1984 (wsws, 21.11.00). Auch das nicht auf Florida beschränkt. Stellvertretend für viele Fälle das Cook County mit Chicago: “In vielen schwarzen Bezirken von Chicago wurde 1 von 6 Stimmen für die Präsidentschaftswahl herausgeworfen, während in einigen der [weissen] Vororte fast jede Stimme gezählt wurde” (wp, 27.12.00). Eine Kombination von an die Schmetterlinge von Palm Beach erinnernden Wahlkartedesigns mit “richtig” verteilten Stanzsystemen sorgte hier für den Massenausschluss von schwarzen und Latin@-WählerInnen. Die GOP (Grand Old Party, die Reps) habe sich während Jahren erfolgreich gegen Reformen gesperrt. Zynisch bemerkte die Post: “Der Fakt beginnt schwarzen Leaders zu dämmern, je grösser die Konzentration schwarzer WählerInnen, umso grösser die Rate von Stimmen, die nicht zählen – was für Zorn in den schwarzen Communities sorgt”.
“Viele gingen weg”
Verwirrung also als Mittel fürs klare Ziel: Ausschluss unerwünschter WählerInnen. In Florida liessen sich Jeb Bush und die Seinen dafür noch anderes einfallen. Einiges hatte mit den sog. Abwesenheitsstimmen zu tun, welche schon für den betrügerischen Gemeindewahlsieg 1997 des republikanischen CIA-Kubaners in Miami zentral waren. Das US-System kennt die offizielle Registrierung der WählerInnen nach Parteizugehörigkeit. Wer an Wahlterminen nicht im Wohnort ist, kann sich einen Abszenz-Wahlschein besorgen. Zwar ist nach dem Miami-Skandal das Mitwirken direkt der Parteien eingeschränkt worden, faktisch aber nur auf dem Papier. So bat GOP-Chefin Goard von der Wahlbehörde des Seminole County für die Korrektur tausender angeblich unordentlich vorbereiteter Abszenz-Scheine Experten der Reps in ihr Büro, mit ungehindertem Zugang zum computerisiertem Register, von denen sie noch nicht einmal die Identität kennen will. In Martin County konnten die Reps die Scheinchen gleich “zur Korrektur” nach Hause nehmen (Netto-Bushgewinn dabei: 2000). Eine in der Sache Seminole angerufene Bezirksrichterin befand, es sei kompliziert, nachträglich den illegal angerichteten Schaden zu beheben und deshalb wäre wohl alles einfach ok (wp, 2.2.01). In Nassau County kam es wie vieler Orts zu einer obligatorischen maschinellen Nachzählung, da die Stimmendifferenz weniger als 1% betragen hatte. Da beim zweiten Durchlauf Gore geringfügig Stimmen hinzugewann, aber gleichzeitig insgesamt einige hundert Stimmen weniger als beim ersten Versuch gezählt wurden, beschloss die Rep-Wahlchefin in Absprache mit Oberbossin Harris, den zweiten Durchgang rauszuwerfen.
Für den Ausschluss unerwünschter WählerInnen kamen noch weit mehr Mittel zum Einsatz. Die oft bezeugte Nötigung zum Vorlegen mehrerer Ausweispapiere bei Schwarzen und naturalisierten MigrantInnen; die vorzeitige Schliessung von Wahllokalen in “Minoritywahlkreisen”; die Streichung Lebender aus dem Register, da “gestorben”; Klagen über vor-ausgefüllte Wahlformulare, “vergessene” Pro-Gore- und “gefundene” “Pro-Bush”-Urnen, Fremde, die im eigenen Namen schon gewählt haben etc. (s. Correos # 124, WoZ 14.12.00). Als wirksam scheint sich auch die Verweigerung der gesetzlich mandatierten Uebersetzung erwiesen zu haben. Der Puerto Rican Legal Defense and Education Fund schätzt den so erzeugten Ausschluss von Latin@s auf mehrere tausend (The Nation, 30.4.01). In Miamis haitianischen Wahlbezirken sah das so aus: “Es gab keine kreolische Uebersetzung, aber viele Spanisch-UebersetzerInnen und eine lächerliche Wahlkarte, die kein Mensch verstehen konnte”, wie ein Gewerkschaftbeobachter der Village Voice vom 29.11.00 berichtete. “Viele gingen wieder weg. Sie hatten keine verdammte Ahnung, was sie tun sollten”. Hier schlossen Wahllokale schon um 16h30 statt um 19h, anderen “wurde gesagt, sie seien nicht registriert. Einigen wurde die Deportation angedroht oder sonstwie eingeschüchtert .... Wahlbehörden verboten den kreolischen UebersetzerInnen zu reden”, zitierte die Voice die haitianische Aktivistin Marlene Bastien von Miami. Die Zahl der Abgewiesenen HaitianerInnen geht ebenfalls in die tausende. (Für die Sichtweise haitianischer ImmigrantInnen: http://www.newtimesbpb.com/issues/2000-11-30/feature.html/page1.html, empfohlen).
II
Die Resultate fielen trotz des Betruges knapper als erhofft aus. In den folgenden fünf Wochen setzten die Bushkräfte alles daran, die sich aufgrund der knappen Resultate und vielen offensichtlichen Betrugsmanövern aufdrängende Nachzählung zu verhindern. Vereinfacht können wir drei verknüpfte Handlungsstränge analysieren: die Sabotage der Nachzählungen vom County-Rep bis zum Apparat von Jeb Bush; die Gerichtsebene; und die politische Mobilisierung: von Schlägereien in Miami über Appelle an die Streitkräfte bis zum Entscheid, ungenehme Wahlresultate notfalls durch politische Kongressmehrheiten auszuradieren.
Ein Cousin in der Nacht
In der Nacht auf den 8. November hatte Gore seinen Widersacher angerufen und ihm zum Sieg gratuliert. Florida, von dessen Elektoren die Präsidentschaftswahl abhängen würde, war von den grossen TV-Gesellschaften, die zusammen mit AP den Voter News Service (VNS) betreiben, Bush zugesprochen worden. Kein wichtigeres Wahlresultat in den USA, das nicht zuerst vom VNS verkündet würde. Gore war schon am Ort angekommen, an dem er seinen Rückzug erklären würde, als es in letzter Minute seiner Zentrale in Florida gelang, ihn aufzuhalten: Die eintreffenden Resultate ergäben noch keinen Bushsieg. Einige Stunden vorher, um 19h50, hatten die grossen Netzwerke, gestützt auf ihre Wahllokal-Umfragen, Gore mit 5% Vorsprung zum Sieger in Florda erklärt. Sie hatten recht: Die Interviewten von Palm Beach und anderswo wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass viele ihrer Stimmen ungültig sein würden. Bush eröffnete darauf den Medien, er werde Florida gewinnen. Ein absolut ungewöhnlicher Schritt: Die Tradition will, dass die Kandidaten in der Wahlnacht sich jeglicher Stellungsnahme bis zur Bekanntgabe der Entscheidung strikt enthalten. Die Netzwerke kapierten die Message und erklärten nach der Schelte Florida für noch nicht entschieden. Langsam begannen sich die Ausschaltung abertausender von WählerInnen und andere Tricks auszuzahlen: Die eintreffenden Resultate gaben Bush einen dünnen Vorsprung. Um 2h15 in der Früh gab Fox-TV Bush als Sieger bekannt, gefolgt von den anderen Netzwerken. Gore telefonierte Bush, stieg ins Auto und hätte um ein Haar das Handtuch geworfen.
Nun, es war nicht der VNS gewesen, der den Staat Bush zugesprochen hatte. Sondern ein Mann von Fox, einen Monat vor den Wahlen als Liaison zum VNS angestellt, John Ellis, Cousin der beiden Bushs. Fox gehört zum erzreaktionären Murdoch-Imperium. Ellis war in dieser Nacht in regem Kontakt mit seinen beiden Familienangehörigen gestanden. Und mit dem VNS: Von dem wusste er nämlich, dass ausgerechnet in der Zeit vor seiner “eigenmächtigen” Erklärung des Familiensieges der Vorsprung von Bush zu schmelzen begonnen hatte! Um 3h, Gore hatte schon Abstand von seinem Niederlagenvorhaben genommen, kehrten die Netzwerke wieder zum Stand des Unentschieden in Florida zurück (wp 13.11.00, 28.1.01; nyt 13.11.00; wsws 14., 17.11.00).
Die Nachzählungen stoppen
In ihrer langen Weisswasch-Serie “Deadlock” versteckt die Washington Post interessante Details, z.B. über ein nicht der Propaganda entsprechendes Realitätsbewusstsein. Um aufkommende Siegeszuversicht angesichts der eben bekannt werdenden Berge von “Ungereimtheiten” in den ersten Nachwahltagen zu dämpfen, hielt Gore’s Chefanwalt Ron Klain seinem Boss entgegen: “Sir, Sie müssen sehen, hier ist Guatemala” (wp, 28.1.01). Die Post berichtet, wie der (von ihr und ihresgleichen herbeigeschriebene) Druck der “Oeffentlichkeit” zur schnellen Bereinigung der Situation auf Gore täglich gestiegen ist. Schliesslich habe daraus die strategische Entscheidung des Gore-Lagers resultiert, sich auf die manuelle Nachzählung in vier Counties zu konzentrieren. Das war der Entscheid, zur (rassistischen) Systematik des Wahlbetruges zu schweigen. Von nun an ging es nur noch um einen Teil der abgegebenen Stimmen, um Stanzteilchen, undervotes, overvotes – die Luft war draussen, die Stunde der Verschleierer angesagt.
Die Gegenseite war sich dessen bewusst. Bush-Koordinator Jim Baker, früherer Aussenminister, und sein Team hatten ein strategisches Ziel,“das ihre Aktionen vor Gericht und in der politischen Arena dominieren würde: die Nachzählung stoppen” (nyt, 22.12.00). Als die demokratischen Strategen den Schmetterling auf die hinteren Plätze der Aufmerksamkeit relegiert und die Nachzählung in vier Counties zur Toppriorität gemacht hatten, “begann der massive Vorteil von George W. Bush deutlich hervorzutreten... Bush musste nur die Nachzählung unterbrechen ... und so dem Moment nahe kommen, wann die Zeit vorbei war” (wp, 29.1.01).
Es began das Karrussell der endlosen Eingaben und Rekurse, Heere von AnwältInnen jagten von einem Gerichtstermin zum anderen, die Diskussionen wüteten um so zentrale Fragen wie die Zählkriterien (an wievielen Enden muss ein Chad losgelöst sein, um der Stimme zur Gültigkeit zu verhelfen?). “Während der 36 Tage bis zur Regelung der Floridawahl traf Frau Harris eine Reihe von zentralen Entscheidungen, die jede einzelne, ohne Ausnahme, Mr. Bush halfen und Mr. Gore weh taten ... ‚Das Schädlichste waren die durch die Wahlentscheide des Harrisbüros verurusachten Stops und Neuanfänge‘, sagte Gore-Anwalt Newton. ‚Es gab zuviele Tage, da niemand nachzählte‘” (nyt, 22.12.00). Nachzählungen wurden bis zur Klärung durch Vorgesetzte unterbrochen, weil ein demokratischer Zähler einen Kaugummi – klebte da nicht ein Chad dran? – zwischen die Zähne schob; eindeutige Stimmabgaben angefochten – die Wahlbehörde war so blockiert und kam nicht vorwärts; Harris änderte vorübergehend ihre “strengen” Chadkriterien für die Auszählung in einem Bezirk, in dem Bush davon profitieren würde, etc.pp.
Eine beliebte Spezialität war auch das Festhalten oder gleich Erfinden sog. unveränderbarer Deadlines für die Proklamierung der Resultate – erfolgreich. In Palm Beach County, reduziert auf die Zählung von Undervotes, hatten die Reps mit zahlreichen Protesten Zeit geschunden – so auch gegen zuvor selber durchgesetzte Zählkriterien. Dennoch drohte die Nachzählung von undervotes beinahe auf den gerade aktuellen Termin fertigzuwerden – um ganze zwei Stunden Aufschub hatte die Wahlbehörde Frau Harris gebeten. Abgelehnt, am 26. November zertifizierte die Bushmilitante die Floridaresultate u.a. ohne die Palm-Beach-“Korrekturen”.
“Einer von uns”
Wichtig waren die Vorkommnisse in Miami-Dade gewesen, wo die Wahlbehörde und Harris mit allen erdenklichen Tricks die Zählung von ursprünglich zehntausenden von Voten hinausgezögert hatten – mal hatte der Chef der Behörde gerade die Telefonnummern verlegt und konnte deshalb die ZählerInnen nur ungenügend aufbieten, mal orderte Harris per Fax den Stopp der Zählungen an, weil ihr die Begründung für die Nachzählung nicht korrekt erschien. Um eine neue, dieses Mal vom Obersten Gericht von Florida in Umlauf gebrachte Deadline einzuhalten, einigte sich die Wahlbehörde, nur noch 10500 undervotes auszuzählen. Am 22. November beendeten 150 aus Washington eingeflogene Stabsangehörige von republikanischen Abgeordneten im US-Kongress dieses Ansinnen. Sie zelebrierten im Countygebäude einen Pseudoriot: poltern, schreien – “Stoppt den Betrug”, also das Zählen –, dreinschlagen (gegen einen Anwalt der Demokraten). Gleichzeitig berichtete der Sender der Cuban-American National Foundation (CANF) live von 1000 KubanerInnen im Anmarsch – “keine glückliche Aussicht für Anglo-Richter”, begeisterte sich ein Kolumnist des Wallstreet Journals.
Kaum hatten sich der Washingtoner Nachwuchs warm geschrieen, gab die Wahlbehörde ihren Entschluss bekannt, die Zählung definitiv einzustellen. Der Mobjubel hielt bis zum Gratulationsanruf von George W. Bush bei der abendlichen Siegesfeier an. Von diesem Moment waren die Chance des Gorelagers verschwindend gering. Von allen wesentlichen Konfliktpositionen abgerückt und auf die Undervotes in ganzen vier Counties reduziert, liess man sich auch diesen Knochen durch den Rent-a-mob mit Krawatte wegschnappen.
Die CANF hatte Rache genommen für den Fall des Jungen Elián letztes Jahr, den die Clintonadministration trotz CIA-kubanischer Waffendrohungen aus den Fängen seiner MissbraucherInnen befreit und seinem Vater übergeben hatte. Wahlbehördenchef David Leahy arbeitet für den CIA-kubanischen Bürgermeister, die beiden anderen Mitglieder haben als Konsulenten einen Armando Gutierrez angestellt, während der Elián-Affaire Sprecher des faschistischen Mobs. Prominentester Vertreter des Machtclans ist zweifellos Jeb Bush, vom verstorbenen CANF-Obergangster Más Canosa als ”einer von uns” bezeichnet. Jeb hatte damals seinen Vater, den US-Präsidenten, für die Freilassung von Orlando Bosch lobbiert, der u.a. ein kubanischen Linienflugzeug abgeschossen hatte und wegen eines anderen Verbrechens ausnahmsweise im Knast sass (Covert Action Information Bulletin, #41, Sommer 1992).
Stimmrecht? Warum denn?
Mittlerweile war das Oberste Gericht der USA mit seiner Horrorgallerie von Reagan- und Bushrichtern aktiv geworden. Am 4. Dezember wies es einen vorausgegangenen Beschluss des Obersten Gerichtes von Florida an dieses zwecks Klärung zurück. Das hatte am 21. November die Deadline für die Nachzählung auf den 26. November festgelegt. Die Floridaregierung hatte auf einer Deadline vom 14. November beharrt – sich dabei auf eine Normalfallformulierung im Gesetz abstützend. In den bevölkerungsreichen Counties ist eine Handzählung innert einiger Tagen unmöglich. Der US-Supreme Court verlangte vom Floridagericht nun eine “Klärung” seiner Kriterien für die Ausdehnung der Deadline bis zum 26. November. Denn es scheine, bestehende Floridagesetze seien dadurch post factum umgeschrieben worden (gemeint: die Normalfall-Zeitlimite), und es drohe weiter, “die legislative Macht [des Florida-Kongresses] einzuschränken. Die [Florida-] Begründung erklärt z.B., dass ‚Gesetze, welche die Legislative zur Regulierung der Wahlprozesse erlässt, nur insofern Gültigkeit haben, als sie keine ‘unbegründeten und unnötigen‘ Hemmnisse für das allgemeine Wahlrecht”, in der Verfassung garantiert, beinhalteten”. Wie wenn das allgemeine Stimmrecht Vorrang hätte! Gangleader Antonin Scalia während der Verhandlung: “...in der Tat, es gibt unter Artikel II [der US-Verfassung] kein allgemeines Wahlrecht. Es gibt ein allgemeines Wahlrecht für die Parlamentswahlen, aber Artikel II macht sehr deutlich, dass die Legislative selbst die Elektoren ernennen kann” (wsws, 2.,5.12.00, nyt, 3.12.00).
.
Der nominelle Chef des US-Supreme Courts, William Rehnquist, war in den 60-er Jahren Chef der Operation “Adlerauge” in Phoenix gewesen, einer mobilen Taskforce von GOP-Anwälten, welche an Wahltagen Schwarze und Chican@s zwangen, die Verfassung auf englisch zu lesen (eine Wahlvoraussetzung, damals). Mit Adlerauge hatte er sich auch für “whites only ”Restaurants und Läden verdient gemacht. Das vielleicht Schlimmste: Bis auf wenige Ausnahmen kam es zu keinen Protesten, noch nicht mal genaueren Darstellungen dieser doch kolossalen Aussage, wonach ein US-Präsident mitnichten von den BürgerInnen gewählt zu werden brauche. Gore’s Staranwalt Boies fand das “nicht schön”.
Schattenloses Siegerstrahlen
In einem anderen Rekursfall ordnete das Oberste Gericht von Florida am 8. Dezember die Zählung von undervotes in Miami-Dade und neu etlichen weiteren Counties an. Doch Scalia, Rehnquist und der Rest verfügen mit einem 5:4-Entscheid am 9. Dezember einen provisorischen Stopp der gerade angelaufenen Nachzählungen, die Bush’s Vorsprung schon auf gerade noch 100 Stimmen reduziert hatten (nyt, 13.12.00). Mit sensationeller Begründung. Zuerst die Einstiegslüge von Gangleader Scalia: Entscheidend sei, “ob die [vom Floridagericht] zur Zählung bestimmten Stimmen in einer vernünftigen Interpretation des Floridagesetzes‚ legal abgegebene Stimmen sind” (wsws, 10.2.01). Eine simple Lüge: Niemand bestreitet ihren legalen Charakter, für alle anderen parallel abgehaltenen Florida- und Lokalwahlen wurden sie gezählt.
Dann die nächste Eskalationsstufe: Der US Supreme Court besinnt sich des Rechts auf Chancengleicheit. Dazu Erwin Chemerinsky, Rechtsprofessor an der University of Southern California: “Das Rehnquist-Gericht benutzt fast nie die Chancengleichheitsklauseln, ausser wenn es darum geht, affirmative action-Programme (zugunsten von Schwarzen und Minoritäten) niederzuschlagen. Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern, wo Scalia oder Thomas gefunden hätten, dass Diskriminierung einer rassischen Minorität oder von Frauen oder Betagten oder Behinderten verfassungswidrig wäre” (The Nation, 5.2.01). Da das Handzählen subjektive Faktoren einschlösse, sei eine Gleichbehandlung der BürgerInnen nicht gewährleistet. Angesichts der Realtität der von County zu County, von Alaska bis Kalifornien unterschiedlichsten Zählapparate und –Methoden, angesichts des Ausschlusses v.a. nicht-weisser und UnterklassenwählerInnen, der Schmetterlinge usw. ein an Absurdität unüberbietbarer Einwand.
Doch das war fürs Aufwärmen, jetzt wird’s ernst. Scalia schreibt, dass das Zählen solcher womöglich “nicht-gleichberechtigter” Stimmen “dem Antragsteller [Bush] und dem Land mit unwiederruflichem Schaden droht, indem es einen Schatten auf das wirft, was er die Legitimität seiner Wahl bezeichnet” (The Nation, 5.2.01). Vormodern bleibt dagegen der Sprecher der liberalen Gerichtsminderheit, John Stevens: “Das Zählen jeder legal abgegebenen Stimme kann keinen unwiederruflichen Schaden darstellen”. Der frühere Staatsanwalt Bugliosi: “... Scalia nahm an, dass Bush die Wahl gewonnen habe – ja, dass er ein Recht habe, sie zu gewinnen ... Nur ein Krimineller auf der Flucht, in Zeitnot und aus Verzweiflung handelnd, konnte so peinliche Worte schreiben wie Scalia, die zeigen, dass er sich bewusst war, über keine legale Basis zu verfügen für das was er tat, aber dass es besser war, irgend etwas niederzuschreiben als gar nichts” (The Nation, 5.2.01).
Die Bush-Ausnahme
Am Tag darauf, dem 12. Dezember, verbietet das US-Gericht jegliches Zählen der Floridastimmen definitiv, wieder mit 5:4, und ratifizierte die Harris-Ergebnisse, erneut unter Bemühung der Gleichberechtigungsklausel. Weiter vergnügte sich die Gerichtmehrheit mit einer angeblichen Deadline vom 12. Dezember. Bis zu diesem Datum bestellte Elektoren können vom US-Kongress nicht angefochten werden, wie dies bei später bestimmten konkurrierenden Gruppen eines Staaten möglich wäre. Natürlich weiss das US-Gericht, dass diese Deadline in keiner Weise bindend ist (laut US-Verfassung ist dies der 6. Januar) – tatsächlich haben andere 20 Staaten noch nach dem 20. Dezember ihre Stimmen ganz ausgezählt. Doch da’s so schön war und alle Welt die Vorgabe der Reps vom 12. Dezember aufgenommen hatte, setzten Scalia et. al. am 12. Dezember für das Auszählen eine Frist bis zum ... 12. Dezember.
Blieb ein Problem: Die Gangster um Scalia wussten, dass ihr Chancengleichheitsargument in Zukunft jede Wahl in den USA mit den überall variierenden Zählmethoden, Apparaturen, Zulassungsbeschränkungen etc. für illegal erklären würde. Denn ein Urteil des Höchsten Gerichtes setzt per definitionem umfassend geltende Standards. Nochmals Bugliosi: “Was tun? Kein Sorge. Sind Sie bereit für dieses? Unglaublicherweise schrieb das Gericht, dass sein Urteil ‚auf die vorliegenden Umstände beschränkt ist, denn das Problem der Chancengleichheit in Wahlprozessen weist im Allgemeinen viele Komlexitäten auf‘”. Im Prinzip erklärten die RichterInnen nichts anderes, als dass ihr Urteil ausschliesslich in der “Legitimität” des Anspruches von Bush auf die Präsidentschaft begründet liege. Nachdem auch das geklärt war, lag der 5-er Clique am Herz nochmals zu betonen: “Der/die einzelne BürgerIn hat nur insofern ein Bundesverfassungsrecht, für Elektoren für den Präsidenten der USA zu stimmen, als die [Einzel-] Staatslegislative eine staatsweite Wahl als Mittel bestimmt, ihre Befugnis zur Ernennung von Mitgliedern des Elektorenkollegiums umzusetzen”. Natürlich falle ins Ermessen der Legislative, “die Elektoren selber zu ernennen”. (für eine laienverständliche Betrachtung der Supreme Court-Monstruositäten: www.lbbs.org/QandA.htm und Vincent Bugliosi, ‚None Dare Call It Treason‘, The Nation, elekt. 5.2.01).
Sturmfront von der Wall Street
Mit diesem letzten Hinweis legitimierte der wahlentscheidende Gerichtsentscheid auch gleich noch, was er unnötig gemacht hat: Der ehemalige Aussenminister James Baker hatte beim “unakzeptablen” Entscheid des Floridagerichtes für beschränkte Nachzählung faktisch angekündigt, dass der rep-kontrollierte Kongress von Florida selber die wahlentscheidenden Elektoren ernennen könne (für den Fall, dass eine nicht als hundertprozentige eingestufte Richterin des Supreme Court die Gefahr des “unwiederruflichen Schadens” nicht richtig einzuschätzen gewusst hätte). Der Kongress mit seiner rechtsradikalen Führung traf in der Folge die nötigen Vorkehrungen für die Ernennung der Elektoren (House Speaker Feeny hatte früher eine Datenbank von Frauen, die abgetrieben haben, einrichten wollen). Auch dieser in den US-Medien detailliert beschriebene Vorgang ein schreiender Kommentar zur offiziell proklamierten Demokratieverliebtheit.
Generell ist eine offensive “Rechtsradikalisierung” des dominierenden Rep-Diskurses feststellbar gewesen. Aktiv dabei das Wall Street Journal, von dem etwa die NZZ ihr “Amerika”-Bild bezieht. Es war das Journal, das, wortlaut unterstüzt von Bushkämpfer Marc Racicot, Gouverneur von Montana, dem Gorelager wiederholt einen “kulturellen Krieg” gegen die Armee vorwarf (wsj, 22.11.00). Einerseits, so hetzte ein Dozent des Naval War College, weil Gore mit “Lehrergewerkschaften, Feministinnen, schwulen Viktimologisten, schwarzen Kirchen” im Bund stehe, andereseits, weil von DP-Seite viele sog. Abwesenheitsstimmen von Militärs, die von Unberechtigten signiert, erst nach den Wahlen, gleich doppelt, ohne die gesetzlich zwingenden Beglaubigungen etc. eingericht wurden. Im September hatten sich, so das Journal, eine Reihe gerade pensionierter Generäle für Bush, gegen Armeevernichter Gore, ausgesprochen. Führende Militärs sahen sich genötigt, die Kette wütender öffentlicher Offiziersangriffe auf Gore mit dem Hinweis auf die parteipolitisch neutrale Rolle der Streitkräfte zu unterbinden.
Das Journal nahm auch die Funktion wahr, rassistische (und im Zusammenhang mit Palm Beach auch subtil antijüdische) Klischees zu propagieren. Am unerträglichsten vielleicht in der angespannten Lage nach der Vergabe der Präsidentschaft an Bush durch den Supreme Court, als v.a. in der schwarzen Bevölkerung die Wut und der Frust extrem akut waren. Das Journal titelte ein Editorial gegen Jesse Jackson und NAACP, die als “Hasshändler” diffamiert wurden: “Das Maul, das röhrte” (14.12.00). Herrenmenschen, die sich ihrer Stärke bewusst sind. Alles im Diktus des Sozialrassismus (im Gegensatz zum biologistischen), der als rassistisch denunziert, was ihn thematisiert. Jackson hatte den unverzeihlichen Fehler begangen, den Gerichtsentscheid in die Tradition der Sklavenzeit zu stellen und Protest gegen die Inauguration des Killers aus Texas anzukünden. Gruppen wie die neonazistische “Stormfront”, die zusammen mit anderen Bushgruppen Jackson schon im November von der Strasse von Miami vertrieben hatten, gehören ins Bild. Und natürlich auch das DP-Establishment, das sowohl afroamerikanische wie gewerkschaftliche Kräfte von einer u.U. unkontrollierbaren Strassenmobilisierung gegen den Elite-Wahlraub abgehalten hat.
III
Alles nur Münzenwerfen?
IV
Nein, der Betrug ist kein faschistischer Putsch gegen ein demokratisches System. Aber gerichtet gegen die haitianischen ImmigrantInnen, die aufgrund ihrer Bekanntschaft mit der US-gesponsorten Duvalierdemokratie nicht anders können, als von einem “Coup d’état” zu reden. Das politische System in den USA war in den Worten eines seiner “Gründerväter”, des Sklavenhalters James Madison, von Beginn weg darauf angelegt, “die Minderheit der Oppulenten gegen die Mehrheit zu schützen”, die politische Macht in die Hände “des Reichtums der Nation” zu legen, von Männern, welche “die permanenten Interessen des Landes” gegen den “gleichmacherischen Geist” der Allgemeinheit verteidigen (in N. Chomsky, Voting Pattern and Abstentions, http://www.zmag.org/ZMag/articles/feb01chomsky.htm). Das Anliegen teilt das Journal in einem programmatischen Leitartikel vom 15. Dezember, “The Agenda”. Die “Glückliche Wahl” von Bush bedeute “eine historische Verschiebung von der Transfer- zur Produzentengesellschaft, wo die Leute etwas Verantwortung für sich selber übernehmen”, nicht mehr gleichmacherischen “Gewerkschaftsregeln und einem Kirchen-Staats-Fetischismus” ausgesetzt, ohne “Entschuldigungen für politisch signifikante WählerInnenblöcke zurechtzuschneidern, um persönlicher Rechenschaftsplicht und einer kompetitiven Wirklichkeit auszuweichen.” Diese Agenda war, da zeitgemäss, unaufhaltsam (z.B. durch unverantwortliche WählerInnen); sie erfuhr etwa auf dem Gebiet der Welfarereform durch “die Clintonadministration einen Unterbruch” und ist jetzt durch “Mr. Bush in der Kampagne wieder belebt” worden.
Vor dem bekannten Hintergrund von Clintons tatsächlicher Leistung im Sozialkrieg gegen unten erschliesst sich aus dieser Kampfansage wohl der Grund für den Wahlbetrug an der Demokratischen Partei: Diese hat in ihrer Basis eine Reihe GleichmacherInnen vom Schlage der “Lehrergewerkschaften, Feministinnen, schwulen Viktimologisten, schwarzen Kirchen”. Im Zuge der Verschärfung des Angriffs – nach innen und international – hat die Zeit für die von Clinton wiederbelebte “1968-er Robert Kennedy-Koalition zwischen weissen Arbeitern, Liberalen mit hehren Zielen und Minoritäten” (nyt, 26.12.00) ausgedient, die auch unter Clinton noch sozialstaatliche Koppelungen kannte. Etwa eine gewisse Absicherung von Pensionsgeldern, die nun dereguliert in die Börsenrachen geschmissen werden sollen.
Der Wahlputsch also als Verschärfung einer schon vorher anerkannten Gesellschaftspolitik, die den Sack Gore schlagen musste, um den Esel – sozialstaatlich abgesicherte unnütze EsserInnen – zu treffen. Ungehemmtes Aufräumen, attraktiv für die US-Elite. Sie scheint sich darauf geeinigt zu haben, dem Unterfangen zumindest den benefice of the doubt zuzugestehen – gelingt der Angriff? Im November noch feststellbare Widersprüche sind momentan hinter die üblichen parteipolitischen Profilierungsspielchen, also Einheit, zurückgetreten. Jesse Jackson hatte von seinen Wall Street Financiers (Big Money in Niedriglohnzonen der Ghettos) den Wink erhalten und Bush zu seinem Sieg gratuliert; Mainstreammedien feiern geschlossen, wie seit Reagan/Bush-Zeiten nimmer, die “Führung” im Weissen Haus; der Miami Herald publiziert anfangs April eine Serie, in der er dem letzten Rest journalistischen Ethos Gewalt antun musste, um zu titeln, was tief versteckt in dem Artikel widerlegt wurde: Bush sei in einer Herald-Nachzählung umstrittener undervotes vorne gelegen. Nachdem der Scoop von den grossen Medien übernommen worden ist, durfte dann am nächsten Tag sogar die Einschränkung erfolgen, dass dies nur gelte, wenn gerade die paar bevölkerungsreichsten und “demokratischen” Counties wie Miami oder Palm Beach ausgeblendet werden. Leicht verwundert berichten die Mainstreammedien en passant, dass 59 der 67 Counties für die Herald-Zählung weniger als die offiziell angegebenen Undervotes vorlegen konnten – im Orange-County des CIA-kubanischen Wahlsupervisors und jetzigen Transportministers Mel Martínez fehlte gleich ein Drittel.
Unsichtbares Volk?
Was tun? Eine Antwort formulierte vielleicht die Sängerin Bernice Johnson Reagon von den ‚Sweet Honey on the Rocks’ im Gespräch mit der afroamerikanischen Schriftstellerin June Jordan: Füllt die Wahllokale noch viel mehr! “Lasst uns sehen, wieviele dieser Wahlen sie versuchen können, umzustürzen. Ueberall sollten Untersuchungsteams sein, um für Dampf zu sorgen. Jede Universität sollte den Wahlprozess in ihrer Nähe beobachten. Macht daraus die Nr. 1-Untersuchung! Und macht aus allem ein einziges kleines Land in Feuer!” In Zentralamerika heisst das “defensa del voto”. Die Antwort der Nobelschriftstellerin Toni Morrison, von den Medien nie um ihre Meinung zu den gestohlenen Wahlen befragt (!): “Macht das! Sogar wenn du nur ins Wahllokal gehst, um zu beten. Es ist ein Ritual des Respekts für das vergossenen Blut, damit wir zählen können, damit wir zählen werden”. Weiter: “Weißt du, hier hat es immer eine faschistische Schlagseite gegeben , das ist nicht parteipolitisch. Es ist wie ein Virus, der sich bei den Demokraten oder bei den Republikanern oder wo immer einnisten kann. Und wir wissen, dass er da ist. Wir können es sagen, weil schwarze Menschen der Nexus sind ... Hier geht es NICHT einfach um die Republikaner! Sondern um die Meute, die die Republikaner kontrolliert – das macht wirklich Angst. Wenn sie tun, was sie zu tun pflegten – etwa Rezessionen ankurbeln und öffentliche Schulen aushungern - dann ist die Zukunft sehr, sehr öde” (June Jordan, The Invisible People, www.progressive.org/jord0301.html).
Eine andere Antwort der “Ausgeschlossenen” erfolgte in den viertägigen Aprilriots von Cincinnati gegen einen neuen Polizeimord an einem jugendlichen Schwarzen. Niemand täusche sich: Der Mainstream mag so viel weisswaschen, wie er will; die Leute haben die Stimme des Sklavenhalters wieder erkannt.