Federico Simonetti befraght Gsus García, Sprecher
der Comuna Socialista Altos de Lídice, einer Gegend im Gemeindebezirk La
Pastora von Caracas.
FS: Zuerst das Wichtigste: Die von euch entwickelte Erfahrung nennt ihr
Comuna Socialista Altos de Lídice. Warum sozialistisch? Was versteht ihr
darunter?
GG: Eine neue Art,
die Sachen zu machen. Eine andere Form, als die, in der wir erzogen wurden. Von
einem wissenschaftlichen Standpunkt fehlt uns vielleicht noch viel, um in der
Idee unseres Sozialismus weiterzukommen. Aber ich denke in der Kommune gibt man
das beste Beispiel für den Aufbau des Sozialismus in der Praxis. Vielleicht ist
einer der grossen Fehler der bolivarischen Revolution, all diese Prozesse nicht
systematisiert zu haben. Hier hat Reinaldo (Itzurrita)[1] vorwärts gemacht, ja, Reinaldo hat da viel
Bewegung reingerbacht. Wenn wir an der Kollektivierung des Tuns arbeiten, auf
jeder Ebene - Gesundheit, sozial, wirtschaftlich, produktiv – dann machen wir
Sozialismus. Natürlich haben wir weiter viele Beziehungen mit rein
kapitalistischer Logik. Aber wenn der Reichtum, den wir mit unserer Arbeit
erschaffen, gleich aufgeteilt oder direkt in Soziales investiert wird, wenn es
nicht um Profit geht, sondern um die Probleme in der Comunidad, dann erschaffen
wir etwas Neues. Das war anders früher. Wenn jemand im Viertel in eine soziale
Hilfe oder in die Feier des Tages des Kindes investierte, dachte man: «Dieser
Typ ist Copain, der ist o. k.». Nein! Hier geht dieses Ding mit den guten
Leuten nicht mehr, das muss sich in ein Regierungssystem wandeln. Und wenn wir
das in ein System der territorialen Regierung umwandeln, dann schaffen wir
Sozialismus. Da sind wir uns sicher. Im kapitalistischen Rahmen haben wir keine
Figur dieser Art gefunden. Deshalb denken wir, dass wir in der Kommune[2], im System der Territorialarbeit, in der
sozialistischen Kommune den Sozialismus gebären.
FS: Chávez sagte, man
müsse zum Sozialismus gelangen. Aber er hatte das, was du sagst, vollkommen
klar, aktuell herrschen die kapitalistischen Beziehungen. Es muss also zwischen
Kapitalismus und Sozialismus einen Übergangsprozess geben. Was ist dabei die
Rolle der Kommune?
GG: Die der Zelle, wo das geboren wird. Sie ist der Raum des
Experimentierens, der Kreation. Es gibt nichts anderes. Entweder das ist im Territorium oder es ist
nicht. In der Kommune oder nicht. Die Kommune ist nichts anderes als diese
Fabrik, in der wir alle als Arbeiter sind, wo wir mit Muttern und Schlüsseln
hantieren, wo wir dem Motor Sprit geben. Chávez hat gesagt, die Kommune ist die
territoriale Keimzelle des Sozialismus. Klar, es gibt einige Thinktanks, Intellektuelle
und Leute, die gerne ausserhalb des Territoriums denken – bueno, das ist ihre
Form, die Dinge zu machen. Aber wir denken, machen, korrigieren und denken,
machen, korrigieren – und so sind wir drauf. Wenn du nicht experimentierst, wie
kreierst du Sozialismus? Die Kommune ist der Raum dafür.
FS: Kürzlich sagtest
du was im Gesundheitspodium, das sich mir einprägte. «Wir müssen den alten
Staat überwinden.» Was meinst du damit? Wie ist der Staat in Venezuela heute?
Uff! Etwas Schrecklicher, Alter! (Lachen.) Eine sehr bürokratische, sehr langsame
Struktur. Die sich nicht an die Prozesse der Kommunen anpasst. Aktuell haben
wir Prozesse, die sehr schnell sind, weil sie schnell sein müssen, wir sind
mitten in einem Krieg, wir können nicht langsam sein. Aber wenn du einer
Institution ein Projekt präsentierst, sagten sie dir: «Nein! Das muss zuerst
hier, dann dort durch, dann braucht es diese Unterschrift und dann die des
anderen, und dann bin ich dran.» Und so vergeht ein Jahr und nichts läuft. Der
Staat ist grau geworden. Als Chávez die Misiones[3]
vorantrieb, machte er das genau, um einen parallelen Staat zu gründen, der
schneller sein sollte, der weiter ins Innere wirken und nicht so bürokratisch
sein sollte. Chávez sagte 2012, dass der Übergang zum Sozialismus anstehe, dass
wir das auf territorialer Ebene machen müssten, auf der Ebene der Kommunen,
dafür brauche es einen radikalen Richtungswechsel. Leider wurde das mit der
Zeit verwässert. Der Staat ist bloss noch ein Hindernis, mit dem wir kämpfen
müssen. Und immer schauen, dass jede Kommune auf eigenen Beinen steht und
genügend organisiert ist, um möglichst wenig vom Staat abzuhängen. Denn eine
Kommune, die vom Staat abhängt, ist wie ein Mensch im vegetativen Stadium, mit
strombetriebener Sauerstoffzufuhr. Ein Mensch, der ohne das stirbt. Die Kommune
darf nicht sterben, weil der Staat versagt. Die Kommune muss Staat sein, das
Territorium regieren und darf nicht vom Staat abhängen, sonst stirbt sie.
FS: Im Lauf der
Geschichte gab es viele Erfahrungen mit Volksmacht. Und immer gab es die
Debatte, ob die Volksmacht sich ins Innere des Staates oder parallel zu ihm
entwickeln soll. Wie siehst du das? Wie sieht man das in Venezuela?
GG: Nun, da gibt es entgegengesetzte Visionen. Selber war
ich in beiden mal zuhause. Also, ich glaube an die Vision, der zufolge wir manchmal
im Staat sein müssen, um ihn von innen zu zerstören, so wie Chávez. Und etwas
Paralleles entwickeln. Ich glaube, beides ist richtig. So haben z. B. viele
Leute Ángel [Prado] von El Maizal[4]
kritisiert, weil ihn seine eigenen Leute als Bürgermeister vorgeschlagen haben.
«Wenn er in der Kommune ist, warum will er in die Gemeinderegierung?» Nun,
genau weil wir dort einen Infiltrierten brauchen, der so viel Macht wie möglich
in Volksmacht umwandeln soll, während diese Volksmacht gleichzeitig den neuen
Staat aufbaut. So dass der nächste Bürgermeister, der in vier Jahren regieren will,
sagen muss: «Und was mach ich jetzt hier, wenn dieser Typ praktisch alles an
die Kommune übergeben hat?» Na ja, vielleicht kann er das Lokal für Ping-Pong
benutzen? Ich glaube, es braucht beides.
Aber wer immer aus der Kommune, Revolutionär, Revolutionärin, ohne eine
Klarheit, was er/sie vorhat, in den Staat eintritt, nur mit der reinen Annahme,
den Sozialismus aufzubauen, ist er oder sie tot, tot! Wenn ich in den Staat
eintrete, und sei es ins «Ministerium für unwichtige Angelegenheiten», muss ich
klar haben, dass meine Funktion in diesem Ministerium ist, die ganze Macht dem
Volk zu übergeben. Sonst verlier ich mich in diesem Meer. Denn dieses Meer
offeriert Luxus, Vergnügen. Und hat vier Wände, die dich einschliessen. Und du
meinst, da drin würdest du den Sozialismus aufbauen. Aber nein, du befolgst die
Agenda des bürokratischen Staats. Also, ich denke, wir müssen auf zwei Ebenen präsent
sein, eine für die Zerstörung und die andere für den parallelen Aufbau.
FS: Ich lass einen
sehr guten Eintrag von dir in Facebook über die Parroquia (Gemeindebezirk), wo
du viel Kritik am Staat geäussert hast in Sachen Bürokratie und lange
Wartezeiten. Was glaubst du liegt dabei an Naivität (Unkenntnis der
strategischen Rolle der Volksmacht) und was an Interessenkonflikten
(Klassenkampf)?
GG: Das kommt drauf an. Im Wirtschaftskabinett geht es um
Interessenkonflikte, denn da ist Geld im Spiel. Die Minister im Ökonomiebereich
sind nicht naiv. Sie wissen von den Kommunen, sie wissen, dass Chávez dem Volk
viel Land für die Produktion gegeben hat. Wenn sie beschliessen, sich nicht mit
den Kommunen kurzzuschliessen, sondern die Grossunternehmen zu priorisieren,
dann ist das nicht naiv. In anderen Fällen kann Unverständnis mitspielen. Wenn
etwa eine Institution die Abgabe von Zuständigkeiten bremst, beim Transport,
beim Wasser, bei irgendwelcher Dienstleistung, kann das daran liegen, dass sie
nicht kapieren, dass das ein superwichtiger Schritt, ein qualitativer Sprung
für den Aufbau des Sozialismus wäre. Viele Compas wissen das nicht. Die
Regierungspartei hat nur minime Anstrengungen in der Schulung, in der Debatte
über Sozialismus gemacht. Viele Funktionäre treten ihr Amt an und wollen die
Geschäfte abwickeln. Nein, Mensch, du bist nicht da, um zu verwalten, du bist
da für die Revolution. Und dafür musst du Macht ans Volk abtreten. Auf dem
Wirtschaftsgebiet ist das völlig anders. Da gibt es Klassenkampf im ganzen
Feld. Diese so genannte neue Bourgeoisie, die Boli-Bourgeoisie[5]
etc. das ist für mich schlicht die Bourgeoisie. Da gibt es einen konstanten,
offenen, entfesselten Klassenkampf.
FS: Die Kommune hat
die strategische Aufgabe, den bourgeoisen Staat zu überwinden, aber heute wird
der vom Chavismus geleitet. Das gibt eine Spannung. Einerseits musst du mit
diesem Staat kämpfen, andererseits musst du ihn verteidigen. Denn wenn diese
Leitung wegfällt, kommt etwas viel Schlimmeres. Wie seht ihr das?
GG: Ein Kumpel sagte: «Dieser Staat, sei er, wie er sei, ist
eine Mauer.» Eine starke Schutzmauer, die es uns auf dieser – linken - Seite
der Mauer erlaubt, aufzubauen, was wir aufbauen. Wenn Ziegelsteine aus dieser
Mauer fallen, weil sie weich wird, muss man Zement einsetzen. Wie lange muss
man die Ziegelsteine der Regierung einsetzen? Bis sie sehr weich wird. Solange,
wie sie verhindert, dass man uns als Kommunarden tötet, dass die Polizei uns
als Kommunarden fertig macht, muss man sie verteidigen. Denn wir wissen, dass
sehr viele Dinge, die uns heute als selbstverständlich erscheinen, es unter
einer rechten Regierung nicht mehr sind. Dafür gibt es heute in ganz
Lateinamerika Anschauungsunterricht. Und es ist auch kein Zufall, dass der
historische Feind heute derart heftig angreift, wie das der nordamerikanische
Imperialismus tut. Das hat seinen Grund. Natürlich wissen wir, dass einige
Leute verhandeln, nun, einige Ziegelsteine fallen aus der Mauer, da muss man
schauen, wie man das repariert.
FS: Chávez wollte die
ganze Macht an die Kommunen übergeben, auch national. Die Macht hat viele
Facetten, denken wir u. a. an drei zentrale: die Ernährungssouveränität, die
Armee und die strategischen Wirtschaftssektoren. Wie verhalten sich die
Kommunen dazu?
GG: In diesem Jahr haben wir beschlossen, uns in eine
produktive Kommune zu wandeln, weg von einer bloss städtischen, die das Thema
des Sozialen, der Gesundheit gut abdeckt. Wenn wir unabhängig sein wollen,
müssen wir eine produktive Kommune sein. Wir haben vor, eine Reihe von Kulturen
zu säen und vorallem eine Saatgutbank für die kommenden Jahre zu schaffen. Um
nicht nur auf dem Territorium der Kommune anzupflanzen, sondern auch auf benachbarten
Gebieten. So dass die ganze Bevölkerung Zugang zu diesen Nahrungsmitteln hat.
Wir müssen begreifen: Die Kommune ist produktiv oder sie ist nicht. Was die
strategischen Wirtschaftsbereiche betrifft, haben wir vor, uns an den Service
public zu machen. So dass mindestens ein Service public unter Kommunenkontrolle
steht. Sammlung und Rezyklieren von
Abfall, Wasser, Strom….
Vor allem in der Abfallentsorgung lassen sich vieler
Ressourcen gewinnen, was heute im Kontext von Krieg und Blockade zwingend ist. Das
ist strategisch. Es geht nicht nur um die Rettung der Welt, die auch ein Ziel
des Plan de la Patria[6]
ist, sondern schlicht um das Rezyklieren, sonst sind wir erledigt und müssen
weiter importieren und importieren. Was den Bereich Sicherheit betrifft, haben
wir ehrlich gesagt noch nicht wirklich daran gearbeitet. Klar, in der Kommune
haben wir Milizionärinnen und Milizionäre. Aber wir haben kein «kämpfendes
Korps der Kommune» geschaffen. Hier müssen wir behutsam vorgehen, denn wir
wollen die Leute nicht erschrecken. Aber der Prozess ist nötig. In der Kommune
kam es nur einmal, vor drei Jahren – wir waren noch nicht als Kommune
konstituiert - zu einem wichtigen Protest. Da sagten wir: «Das wird nicht
wieder vorkommen, hier wollen wir keine Guarimba.» Mit der Bildung der Kommune
begannen wir, solchen Dingen vorzubeugen.
FS: Und die Armee
lässt die Kommune machen? Lässt ihre Bewaffnung zu? Hilft dabei? Oder wie ist
das?
GG: Ja. Das hat mit dieser Schutzmauer zu tun, von der ich
sprach. Stell dir eine rechte Regierung vor und wir sagen, wir wollen ein
bewaffnetes Korps aufstellen. In einer Minute werden wir aufgemsicht.
FS: Das Gesetz zur Volksmacht
sagt in Artikel 3, dass ihre Entwicklung an das Niveau von Bewusstsein und
Organisation der Bevölkerung gebunden sei. Wie sieht es damit aus?
Ich denke, das fängt beim Individuellen an. In der Kommune
haben wir aktive Sprecherinnen und Sprecher, die ihr Leben dem Dienst an der
Gemeinschaft widmen. Und einige (wenige) identifizieren sich nicht als
revolutionär. Im Gegensatz zu der grossen Mehrheit, die das macht, weil sie den
Prozess, in dem sie stehen, begreift. Ich glaube, in beiden Fällen wächst das
Bewusstsein. Ich glaube, du bist bewusst in dem Mass, wie du dem andern hilfst.
Weswegen sonst bist du auf der Welt? Um rumzustänkern? Denn wenn du alles auf
dich beziehst, was kannst du dabei an Bewusstsein entwickeln? Null. Und nur,
weil es solche Menschen in der Kommune gibt, weil das Bestandteil der venezolanischen
Eigenart ist, ist die Revolution überhaupt möglich. Ohne diese Solidarität,
dieses Zusammenhalten, dieses einander Unterstützen, wäre ein Revolution, wie
Chávez sie formulierte, sehr schwierig.
Es gibt Leute, die einander einfach helfen, und es gibt
Leute mit der Überzeugung, dass das der Weg ist. Und wenn das zusammenkommt,
die Eigenart und das Bewusstsein, geht es voran mit der Volksmacht, mit den
Consejos Comunales, den Kommunen, den Kollektiven. Einander helfen, das ist es.
Schau, in Lídice gibt es jetzt Wasser in den unten gelegenen Zonen, alle Häuser
dort dienen als Reservoir, und alle Welt legt einen Schlauch für die Nachbarn
ein wenig weiter oben, wo das Wasser nicht hin kommt, damit die auch was haben.
So geht das, bis Mitternacht, Kaffee wird gemacht, «hast du Wasser, bist du
müde, fehlt dir ein kleines Fass?» Und das ist so, weil Chávez das Alltägliche
betont hat, und was vorher aussergewöhnlich war, ist heute in der bolivarischen
Revolution normal. Das Bewusstsein ist ein wichtiger Fakt, wenn es zum Streben
nach der Kommune wird, schaffen wir Sozialismus. Denn die Eigenart, Idiosynkrasie,
ist nicht mehr bloss Idiosynkrasie, sondern territoriales Projekt.
FS: Weltweit
entwickelt sich eine starke feministische Revolution, die das Rollenverhalten,
den Sexismus hinterfragt. Als wir in der Kommune waren, sahen wir, dass die
Mehrheit Frauen waren, mit realer Macht. Was ist ihre Rolle in der Kommune?
GG: Ohne Frauen gibt es keine Kommune. Simpel. Die Mehrheit,
wenn nicht alle Kommunen in Venezuela werden von Frauen geleitet. Sie sind es,
die die politischen Veränderungen in diesem Land anstossen. In der Kommune
praktizieren die Frauen den militanten Feminismus, aber vielleicht sind sie
sich dessen nicht bewusst. Sie machen ihre Arbeit, stellen die Mehrheit in
allen Versammlungen, Sitzungen, Instanzen. Aber viele von ihnen sind sich
vielleicht der Wichtigkeit ihrer Rolle als Frauen in der Gesellschaft und in
der Kommune nicht bewusst. Das zu ändern erfordert Arbeit, die Kenntnisse
voraussetzt. Manchmal kommen feministische Strömungen von ausserhalb des
Territoriums, um «die Frauen zu organisieren». Nein! Bring dich ein, versteh
den Prozess, arbeite mit den Frauen, leide mit ihnen. Dann verstehst du ihre
Situation, schlag etwas vor, mach Sachen möglich. Aber kommt nicht, um deine
Ideen oder die deiner Gruppe aufzudrücken, weil du in Argentinien oder Chile gesehen
hast, dass die Frauen die Dinge so und so machen. Nein, du musst schauen, wie
das hier läuft, und dann entwickelst du Bedingungen, Philosophie etc. Nun, ich
bin ja wohl auch nicht gerade das beste Beispiel, um feministische Prozesse
anzustossen. Aber ich denke, dass die Frauen manchmal die Macht, die sie haben,
nicht kennen.
FS: In seinem Golpe de
Timón (Steuer herumreissen)[7]
sagt Chávez, dass die Kommune keine sozialistische Insel in einem
kapitalistischen Meer sein kann, weil sie sonst vom Meer verschlungen wird. Wie
sieht es mit der Verbindung unter den Kommunen aus?
GG: Wir arbeiten jetzt daran. Ich denke, wir sind auf gutem
Weg, angesichts unserer kaum zweijährigen Existenz. Jetzt sind wir gerade
daran, besonders im Bereich Nahrungsmittel, mit anderen Kommunen
wirtschaftliche Beziehungen aufzubauen. Damit die Kommune wie ein Staat ist,
der Nachbarländer unterstützen kann. Mit den Tonnen von Kartoffeln, die wir vor
zwei Wochen brachten, konnten wir auch umliegende Consejos Comunales billig
beliefern. Das Gleiche haben wir auch mit anderen Nahrungsmitteln vor. Wir
wollen uns auch für die Bildung weiterer Kommunen in unserer Parroquia einsetzen,
denn jetzt sind wir in ganz La Pastora die einzige. Wir sind allein am Rudern
in diesem Meer. In diesem Kontext, wo die kommunale Macht zurück gegangen ist,
müssen wir wenige, die an diese Idee glauben, uns zusammentun. Wir müssen
vorwärts machen.
FS: Wie sollte die
Lage in zehn Jahren sein, wenn alles gut läuft?
GG: Und jetzt soll ich weinen (Lachen)? Also, mir würde
gefallen, dass es mindestens in ganz Lídice Kommunen gibt. Zweitens, dass alle
Organe der Selbstregierung funktionieren, und zwar gut, nicht als Kopie des
alten Staates. Drittens, dass wir unabhängig wären. Das ist der Schlüssel.
Chávez sagte das. Wir müssen dafür sorgen, dass eine territoriale Kommune für
Unabhängigkeit kämpft. Wie sie den Service public, ihre produktive Ökonomie,
ihre soziale Dynamik organisiert, wie die Beteiligung an allen Kommunenwahlen
mindestens 60 % erreicht. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Leute
nicht nur wählen, sondern mitmachen. Dafür braucht es neue Räume.
Ich glaube, damit die Kommunen zukünftig regieren, müssen
sie sich der Zukunft annähern. Denn wenn sie wie die sowjetischen Kommunen
denken, sind wir erledigt. Wir haben heute Handys, und die Jungen kommunizieren
heute schon fast mehr damit als von Angesicht zu Angesicht. Das ist die Zukunft,
also los. Müssen wir ein Social-Media-Netzwerk schaffen? Dann schaffen wir es.
Neue Formen der Interaktion? Wir müssen sie schaffen. Wir können nicht beim
Papier bleiben, beim Anschlag an der Wand. Viele Compas sehen das mit
Befürchtungen. Für sie ist die Schaffung eines Cafés für die Millennials, das
anders ist als die von früher, nebensächlich. Aber mit welcher Bevölkerung kann
die Kommune in den nächsten zehn Jahren zählen, wenn wir diese Altersgruppe
nicht einbeziehen? Als Maduro das Carnet de la Patria[8]
lancierte, machte mich das etwas wehmütig. Denn in meinen Augen hätte die
Kommune diese Möglichkeiten der Technologie und der Beteiligung für eine mehr
territoriale Benutzung ausschöpfen sollen. Klar, Maduro macht das auch, um den bourgeoisen
Staat umgehen zu können, um via Technologie direkter an die Leute gelangen zu
können.
FS: Was du sagst,
erinnert mich an das, was einer eurer Nationalhelden Unseres Amerikas gesagt
hat: «Wir erfinden oder wir scheitern.» Also nicht alte Formen kopieren. Willst
du noch was sagen?
GG: Die aktuelle Lage für die Kommunen ist sehr komplex. Wir
kämpfen an drei Fronten: mit den der Kommune eigenen Problemen; im Krieg, mit
dem alle Venezolanerinnen und Venezolaner konfrontiert sind; und im Konflikt
mit dem bourgeoisen Staat, der sich fort zu verschärft und schwieriger wird.
Was tun, um nicht zu verschwinden? Die Kommunenbewegung muss sich neu erfinden,
muss wieder Bewegung sein. Heute haben wir keine Bewegung, wir sind isoliert.
Wir müssen uns bewegen, damit der Staat weiss, dass es uns gibt. Die Zukunft,
die wir uns über den Krieg hinaus vorstellen, ist sie mit dem Staat möglich?
Und ich beziehe mich nicht auf den bourgeoisen Staat als philosophisches
Phänomen, sondern konkret auf die derzeit Regierenden. Die Treffen mit dem
Präsidenten folgen bisher einer gleichen Logik: Sie treffen sich mit den
Kommunarden während zwei oder drei Tagen, ein 20-seitiges Papier wird verfasst,
es wird dem Präsidenten übergeben. Der hat dann seine Agenda, für die er drei
Punkte übernimmt, alle anwesenden Kommunarden klatschen, gehen heim und warten
auf das nächste Treffen. Nein, so geht das nicht! Wenn Chávez sich mit den
Kommunarden traf, gab es eine Debatte, jeder konnte ihm ein paar Dinge
entgegensetzen, und er sagte ja zu diesem oder nein zum andern. Aber es war
eine Debatte, kein formeller Akt. Die sind nichts für die Kommunen, mit ihnen
musst du politisch diskutieren. Denn das sind die Leute, mit denen du den
Sozialismus aufbaust. Mit welchem anderen Subjekt machst du das? Dieses hast du
im Territorium. Egal, ob jung, Frau, schwarz, weiss, braun, katholisch,
protestantisch, was immer. Sache ist, dass die Dinge sich immer mehr verwischen
und, und wir erneut in den Staat verfallen mit seinen grossen Politmassnahmen
auf nationaler, aber nicht auf territorialer Ebene. Zu diesem Punkt der
Komplexität herrscht wohl Einigkeit, wir leiden alle an ihr, wir kritisieren
sie alle, wir beschreiben sie alle, aber darüber hinaus läuft nichts. Wir
müssen zusammenkommen, einen Raum für Debatte und Umsetzung, für seriöse
Vorschläge schaffen. Wenn das nicht möglich ist mit den angeblich tausend
Kommunen, dann mit den dreissig, die das wollen. Wir getrauen uns, etwas
anderes vorzuschlagen. Das ist die Herausforderung.
·
La
Iguana TV, 19.4.19: La
Comuna es la Célula territorial del Socialismo.
[2] Territoriale Dachorganisation mehrerer
kleinräumigerer Consejos Comunales, Basisorganisationen in der Nachbarschaft.
[3] Chávez begann 2003 die ersten Misiones primär
für Sozialprogramme ausserhalb der Ministeriien zu lancieren.
[4] Populärer Leader einer ruralen Kommune. 2017 wurde
sseine Kandidatur als Bürgermeister unter fadenscheiniger Begründung
verweigert. Er wäre, von kleinen Linksparteien unterstützt, gegen den Kkandidaten
der Regierungspartie angetreten. Prado ist weiter in der Kommune und in der
Verteidigung Vebnezuelas engagiert.
[7] Von Chávez im Oktober 2012 an einer vom TV
übertragenen Kabinettsitzung postulierte Politik der entschiedenen Hinwendung
zur Basis-kontrollierten Ökonomie.
[8] Eine Chip-Karte mit Einkommensdaten der Besitzerin,
gebraucht vor allem für die Abwicklung der Sozialprogramme, auf die auch monetäre
Staatsleistungen übertragen werden.